Bewegte Geschichten #1 | Filosofo

 
 

Mein jüngerer Sohn hatte in noch jüngeren Jahren einen Berufswunsch: Postauto-Chaffeur mit Hündchen wollte er werden. Nicht Lastwagenfahrer oder Busfahrer. Postauto. Mit Hündchen. 

Er war damals der Jüngste, ich bin es heute nicht mehr, darum mache ich mir Gedanken über meine Zukunft. 
Was will ich mal werden, wenn ich nichts mehr bin? Wenn ich pensioniert werde, was nie passieren wird? 

Darum habe ich mich von meinem Sohn inspirieren lassen: Ich möchte Philosoph in Lissabon werden. In Lissabon. Aber ohne Hündchen. 
Da kann ich in einer Cafeteria sitzen oder an den Ufern des Tejo, in die Menschenmenge oder ins Nichts schauen, ab und zu etwas lächeln oder eine Augenbraue hochziehen und mir etwas in mein mit Leder eingebundenes Philosophen-Buch notieren, und wenn je jemals jemand danach fragte, was ich hier mache, könnte ich antworten: filosofo, ich philosophiere. 

Schön, nicht? 

Es gibt da nur ein kleines Problem. Alles, was ich je aufschreibe, hat seinen Ursprung in der Bewegung oder in der Berührung. Alle meine Bücher wurden aus Bewegung und Berührung in die Manifestation gehievt. Von unten nach oben quasi, nicht nur von innen nach außen, wie das beim Philosophen in der Cafeteria vielleicht eher der Fall ist. 
Bewegung ist mein Forscherfeld und meine Inspiration, mein Erkenntnisfeld, wenn auch meine Erkenntnisse bescheiden sind, so sind sie doch bewegt. Ich kann mich nicht hinsetzen und außen beobachten und daraus etwas philosophieren. Ich bewege mich, beobachte, und schreibe ein paar Beobachtungen auf. 

Das war schon immer so. Meine Teenager-Jahre verbrachte ich auf dem Fahrrad oder im Wald spazierend, und ich komponierte dabei. Dann ging ich in mein kleines Studio und nahm alles auf. Und wieder zurück aufs Fahrrad oder ab in den Wald. Heute plane ich Workshops oder Korsika-Wochen joggend. Unmöglich, an einem PC sitzend, auch nicht in einem Café mit Notizbuch. Nichts kommt. Deshalb jogge ich auch täglich in Korsika. Natürlich, es ist wunderschön, am Strand entlang zu joggen. Aber vor allem ist es Vor- und Nachbereitung, die nur so geschehen kann. 

Also doch nichts mit Philosoph in Lissabon, es sei denn, ich werde der stille Philosoph, der nie etwas aufschreibt. 
Vielleicht müsste ich mir dann doch ein Hündchen zutun. 
Wenn dann je jemals jemand danach fragte, was ich hier mache, könnte ich auf das Hündchen zeigen und antworten: filosofo. 

Denn so würde mein Hündchen heißen.



©Martin Schmid


 
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